Polaroid-Transformationen in der Kunst

Johannes Dörflinger feierte im April seinen 80 Geburtstag. Pünktlich zu seinem Jubiläum hat die Stiftung einen Katalog publiziert

Hier schon ein paar Bilder „Aus meinem Daheim“, 80 Erzählungen in Polaroid-Transformationen. Lasst euch anregen und erzählt die eigene Geschichte dazu.

Für alle die gerne viel lesen und sich intensiv mit den Polaroid-Transformationen auseinandersetzen möchten, hier der Text von Christoph Bauer, Kunstmuseum Singen. „Polaroid. Eine Episode“ titelte die Zeitschrift „du“, als sie 2002 ein Heft zum Siegeszug aber auch zum Verschwinden des Sofortbildes. Fällt der Begriff „Polaroid“, so erinnert sich nahezu jeder die legendäre SX-70-Kamera und denkt an die flächige, leicht verwaschene Ästhetik des schnell verfügbaren Bildes, die Künstler der Pop-Art wie Andy Warhol, David Hockney oder Chuck Close geprägt haben.

Wie, so mag sich mancher fragen, passt diese ekstatische, narzisstische, ja egozentrische, in gewisser Weise „leere“ Fotografie zu Johannes Dörflinger, dem Maler, dessen Pastelle, Gemälde und Graphiken allesamt hoch verdichtete, komplexe Such- und Vexierbilder sind?

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Tatsächlich arbeitet der Künstler seit 25 Jahren vornehmlich in Konstanz, mit Sofortbildkamera und Packfilm und nutzt die Technik des herstellungsbedingt bereits mit einer Art Passepartout versehenen Trennbildes als intime Form der Malerei.

Zum runden Geburtstag präsentiert er zwanzig Serien mit je vier malerisch wie zeichnerisch überarbeiteten Polaroids, die einen neuen Werkblock von achtzig aufeinander verweisende Arbeiten ergeben. Einzeltitel wie „Wahrsager“, „Magier“, „Geist“ oder „Tor“, aber auch „Licht“, „Berg“ oder „Flügel“; Serientitel wie „Orakel“, „Ausgrabung“, „Vogelzeichen“, aber auch „Figur“, „Horizont“ oder „Kugel“ zeigen an, dass sich die Kompositionen in ihrer Entstehung mal stärker an Inhalten, dann wieder an Formanalogien festmachen. Der gesamte Zyklus gibt den Blick frei auf einen reichen Form- und Figurenkosmos; auf eine Fülle magischer Zeichen, die im langen Künstlerleben des „Bilder-Finder“ Dörflinger längst zu einem originären Repertoire angewachsen sind.

Am Anfang der Polaroid-Aufnahmen steht eine Beobachtung, ein Arrangement, eine Art Stillleben. An allen Orten, an denen er lebt und arbeitet, ist Johannes Dörflinger umgeben von „Zeichen und Figuren“, die – ganz gleich, ob diese nun mit großem Ernst oder augenzwinkernd ins Bild eingeführt werden – zu „Schlüsseln aller Kreaturen“ geworden sind. Als Sinnbilder sind sie rück- und eingebunden in größere, imaginäre, transzendente Zusammenhänge. Dörflinger „schneidet“ diese Formen aus dem Fluss der Zeit aus; für ihn „sprechen“ diese Gegenstände. Indem er sie anhäuft, zu wirkmächtigen Bildern arrangiert, treten sie unter- und miteinander, sich dabei wechselseitig steigernd und überlagernd, in Dialoge. Es ist dieses muntere Gespräch, dieses „Durcheinander“ unterschiedlichster, jedoch nicht unverbundener Ereignisse und Motive, an der sich die (Zweck-)Rationalität unserer alltäglichen Welt bricht oder aber das Sein der Dinge in Geschichte(n) eingefangen wird. Das Arrangieren und Fotografieren werden so zu einer Methode der Orientierung des eigenen Selbst. Was Johannes Dörflinger sodann am Polaroid-Bild fasziniert, das ist die Möglichkeit, unmittelbar ins noch nasse, „unfertige“ Bild hineingehen, sofort reagieren zu können.

Nach der Fotografie ist vor dem Bild: Mit Acrylstiften und anderen Werkzeugen lässt sich in die noch nicht getrocknete „Polaroid-Farbmaterialität“ hineinarbeiten. Die im Polaroid „wie Emaille glänzenden“ (Dörflinger) Farbflächen und aufscheinenden Formen lassen sich verwandeln, indem ihnen die Textur der eingeritzten Zeichnung hinzufügt werden kann. Aber auch während und nach dem Trocknen ist eine Vielzahl weiterer Bearbeitungsschritte möglich: Wegkratzen, Schleifen, Erwärmen, Übermalen, Überdecken, erneutes Eintiefen und -zeichnen, Konturieren.... Unter den Händen des Künstlers verwandelt sich das fotografische Bild – intuitiv, situativ – in ein malerisch aufgefasstes Unikat; in ein Stück analoger, autonomer Kunst, das „sich selbst gemalt hat“. Oder das bearbeitete Polaroid wird selbst wieder Ausgangspunkt für ein nächstes Polaroid, das wiederum überarbeitet werden kann. Johannes Dörflinger selbst berichtet von einem Sog, in den er hineingezogen wird.

Anders also als in der Pop-Art, in der die Suche ausgerichtet war auf das eigene Bild und auf die unergründliche Oberfläche der Gegenstände, zielt Johannes Dörflinger in seinem freien, spielerischen Tuns ab auf das Gegenüber (s)einer Welt voll überraschender und – im Sinne Carl Gustav Jungs – archetypischer Erscheinungen, Konstellationen, Projektionen und Imaginationen, die uns mit ihrem magischen Zauber dazu verleiten, unser eigenes Selbst zu erkennen.

Glaubt der Maler an seine Schöpfungen? Jein. Selbstverständlich weiß Johannes Dörflinger, dass auch er kein verbindliches System verbindlicher Symbole mehr schaffen kann. Aber: Das offene Zeichen birgt in sich das Glück, die Kraft der gestalteten Form, die imaginierte Figur und die sinnliche Erkenntnis zusammen bringen zu können.

Der balancierende Künstler ist Spieler und Zauberer zugleich. Form wandelt sich in Zeichen; Ideen nehmen Form an – Form, Figur und Zeichen gehen in eins, eins geht ins andere über, kehrt heim zum Uralten, wird im Hier und Heute lebendig und – als gelungene Form – selbst wiederum Frage. So aufgefasst, fügt sich das Polaroid schlüssig in Dörflingers Bilderwelt. Nicht das Schnelle oder die Oberfläche des Mediums interessieren den Maler, sondern die unendlichen, poetisch offenen Möglichkeiten der Transformation, die sich ihm im Material und durch dieses Medium eröffnen.

Die Kraft in allen Dingen zu erkennen, sie in Formen, Zeichen und Figuren umzuschaffen, ist Dörflingers Anliegen. Seine Polaroids strahlen uns an. Dem Betrachter eröffnen sie imaginäre Räume, die uns exemplarisch Wege zeigen: Wege zum eigenen Selbst und zu dessen Überwindung. Ist Johannes Dörflinger ein Romantiker? Sicher nicht im herkömmlichen Sinne. Aber ein gutes Stück hat er sich erhalten: „...und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“

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