Apokalypse offen

Nein, keine Endzeitbeschwörung! Dem Künstler Johannes Dörflinger geht es in diesem Werk mehr um die Überwindung von bedrängenden Fantasien.

Anlässlich der Ausstellung im Kunstverein Konstanz ist die komplette Serie «Apokalypse offen» ab dem 24. Juli 2021 dort zu sehen.

Der nachfolgend der Text von Siegfried Gohr, Kunsthistoriker und freier Publizist, gibt einen interessanten Einblick über die Apokalypse und die übermalten Polaroid-Transformationen von Johannes Dörflinger.

«Um das Jahr 960 entstand in einem Kloster im spanischen Leon die sogenannte Beatus-Apokalypse. Die Handschrift wird heute in der Morgan Library in New York aufbewahrt und gehört zu den bedeutendsten Werken europäischer Kunst, die den Weg über den Atlantik gefunden haben.

Neben den theologisch-religiösen Symbolen besticht der Schöpfer der Bildseiten durch eine reiche, gestische Figurensprache; losgelöst aus dem christlichen Kontext wurden Künstler seit dem Bekanntwerden der Handschrift von den beredten Szenen fasziniert, darunter auch Pablo Picasso.

Die Apokalypse als Vision vom Ende der Welt in Angst und Schrecken hat die Menschen in Krisenzeiten beschäftigt, die auf ein baldiges Ende hinzudeuten schienen. So geschah es um das Jahr 1000 oder auch um 1500. Nicht zuletzt dieser Zeitstimmung verdanken wir die bedeutendste Illustration der Apokalypse in neuerer Zeit, denn 1498 gab Albrecht Dürer seine Holzschnittfolge heraus.

Nun lässt sich die bildnerische Auseinandersetzung mit der Beatus-Apokalypse von Johannes Dörflinger gerade nicht in dieser Tradition lesen. Denn wie auch seine Titelwahl beweist, geht es ihm nicht um Endzeitbeschwörung, sondern um die Überwindung von bedrängenden Fantasien.

Mit Hilfe von Polaroids hat Dörflinger Einzelheiten aus den Kodex-Blättern herausgefiltert und diese mit Objekten aus seiner Sammlung oder eigenen Skulpturen ergänzt, verfremdet, umgedeutet. Immer wieder liess sich der Künstler auch in der Vergangenheit für seine Arbeiten von seinen seltsamen Funden inspirieren. Dies können Antiquitäten, besondere Materialen, spielerische Formen, scheinbar absurde Gegenstände von heute leisten.

Johannes Dörflinger arbeitet oft mit der inspirativen Technik der Analogie. Überall kann er Dinge finden, die sich seinem Bilduniversum einverleiben lassen. Die starken Körpergesten der «Beatus-Apokalypse» wirken auf seine Fantasie ähnlich wie die Fundstücke, die er den mittelalterlichen Figuren hinzufügt. Die neu entstehenden Bilder aus der Kombination von Kodex-Figur und Objekt öffnen den Imaginationsraum der Apokalypse und lassen künstlerische und gedankliche Auswege aus der Katastrophe sichtbar werden.

Die Befreiung geschieht nicht zuletzt dadurch, dass der Künstler sich gestattet, die Fantasie über die letzten Dinge spielerisch umzudeuten. Das, was als frivol erscheinen könnte, geschieht jedoch sichtlich aus existentiellem Ernst, der noch jedem Spiel insgeheim innewohnte.